Astrid Tomczak-Plewka
Enthusiastisch, begeisterungsfähig, analytisch – und ja: auch etwas nerdig. Der junge Mann, der an diesem sonnigen Nachmittag auf der grossen Schanze in Bern sitzt und leicht mit den Händen gestikuliert, während er seine Forschung zu erklären versucht, erinnert in Aussehen und Gestus ein wenig an «Q» aus den jüngeren James Bond Filmen. Einer, der sichtlich Freude an seiner Arbeit hat und damit das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet. Oder anders gesagt: Einer, der seinen Spieltrieb in der Wissenschaft auslebt.
Schon als Gymnasiast war der Freiburger an allem interessiert, was mit Engineering und Naturwissenschaften zu tun hatte – kein Wunder, entschied er sich für ein Studium, das möglichst viel davon vereint: Materialwissenschaften ist quasi eine Kombination zwischen Chemie, Physik und Ingenieurwissenschaft. In seinem Austauschjahr in Manchester simulierte der EPFL-Student Materialien mit Computermodellen und konnte dabei seine Faszination für Informatik, Programmieren und Machine Learning ausleben. Die Fähigkeiten dazu hat er sich weitgehend selber beigebracht – «mit online-Kursen».
«Als wären Atome Buchstaben, Moleküle Wörter und Reaktionen Sätze»
Als Praktikant im IBM Forschungszentrum setzte er sich noch intensiver mit dem auseinander, was ihm letztlich den Prix Schläfli bescherte: Sprachmodelle in der Chemie. In seiner Doktorarbeit am IBM Forschungszentrum und an der Universität Bern vertiefte er diesen Ansatz. «Das Leitmotiv meiner Doktorarbeit war die Anwendung von Modellen der künstlichen Intelligenz, die für die menschliche Sprache entwickelt wurden, auf Moleküle und Reaktionen», erklärt er. «Es ist, als wären Atome meine Buchstaben, Moleküle meine Wörter und Reaktionen meine Sätze.» So wie beispielsweise Programme zur Übersetzung von einer Sprache in eine andere mit Millionen von Sätzen gefüttert werden, fütterte Philippe Schwaller die neuronalen Netzwerke mit chemischen Reaktionen. Mit solchen Ansätzen könnten künftig chemische Synthesen automatisiert und der Zeitaufwand für die Entdeckung und Herstellung neuer Moleküle erheblich reduziert werden.
Philippe Schwaller ist nicht der erste, der diesen Weg gegangen ist. Aber was seine Arbeit besonders macht und ihm nun den Prix Schläfli beschert, ist ein Teilaspekt, der laut Fachwelt einen «Meilenstein» darstellt und die Konkurrenz in den Schatten stellt: Schwaller entdeckte nämlich, dass seine Modelle erfassen können, wie sich die Atome während der Reaktionen neu konfigurieren, das so genannte Atom-Mapping. Anhand dieser Muster entwickelte er ein schnelles und hochwertiges Atom-Mapping-Tool, den so genannten RXNMapper. Atom-Mapping ist auch vielen ChemikerInnen kein Begriff. Für die digitale Chemie ist es aber essenziell: Atom-Mapping im Computer wird seit den 1970er Jahren untersucht, da es für die meisten computergestützten Werkzeuge zur Planung von Synthesen von grundlegender Bedeutung ist, effizientere Reaktionssimulationen ermöglichen könnte und Reaktionsdaten besser zugänglich, interpretierbar und durchsuchbar macht. Und Schwaller ist es nun offenbar gelungen, einen neuen Massstab zu setzen: «Eine unabhängige Forschergruppe hat verschiedene Ansätze verglichen und meinen Open-Source RXNMapper als bestes Atom-Mapping-Tool ausgewählt – sogar besser als kommerziell erhältliche Lösungen», sagt der 31-Jährige.
«Ich bin am Computer einfach viel besser als im Labor»
Zurzeit hat Schwaller eine Assistenzprofessur für Digitale Chemie an der EPFL. «Ein Traum», sagt er. «Hier kann ich meine Ideen ausleben und mich austoben.» Er möchte mit seinen Fähigkeiten «etwas Nützliches» bewirken, dazu beitragen potenzielle Leerläufe im Labor zu vermeiden. Eigentlich ist das Labor nicht wirklich seine liebste Arbeitsumgebung. «Ich hatte ja immer wieder die Gelegenheit, was Experimentelles zu machen und habe auch gesehen, dass es im Labor nicht immer super läuft, viele Faktoren beeinflussen die Resultate» sagt er – und schiebt dann lachend nach: «Ich bin am Computer einfach viel besser als im Labor.»
Doch es gibt auch den Menschen jenseits des Bildschirms: Der Sohn einer Romande und eines Deutschschweizers verbringt seine (rare) Freizeit gerne mit Wandern, Campen, Reisen und Fotografieren – oder am Kochherd mit seiner Partnerin. Ob er dort die molekulare Küche pflegt? Die Antwort auf diese Frage bleibt offen.