Von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends über dem Mikroskop sitzen, dazwischen eine Stunde Mittagspause: Man kann sich Spannenderes vorstellen. Für den Doktoranden Fabian Rey war das über Jahre hinweg Alltag. «Zwischendurch dachte ich: Das ist doch eine never ending story», sagt er. Doch der Ehrgeiz trieb ihn an. «Ich bin einer, der auch mal eine 6 haben möchte – und dazu noch ein ‘Chläberli’.»
Fabian Rey ist der erste mit Doktortitel in seiner Familie. Sein Vater ist Techniker, seine Mutter gelernte Coiffeuse. Auch der junge Aargauer sah seine Zukunft nicht in der Wissenschaft. Sein Jugendtraum war die Innenarchitektur, nach der Oberstufe wollte er zunächst eine Schreinerlehre absolvieren. Doch viele Betriebe winkten ab – mit der Begründung, der Junge sei «zu gescheit». Also doch Kantonsschule und ein Studium. Als er feststellte, dass in der Architektur viel Mathematik, Statik und Physik gefragt war, änderte er seine Pläne. «Ich habe mich immer sehr für die klassische Geografie interessiert», erzählt er. Also fiel seine Wahl auf die Geowissenschaften. Im Bachelorstudium an der Universität Basel spezialisierte er sich auf Biogeografie und Meteorologie – letzteres kommt ihm bei seinem Hobby Gleitschirmfliegen sehr entgegen. Fürs Masterstudium wechselte er ans Oeschger Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern. Hier entdeckte er auch das, was ihn bis heute beschäftigt: Pollen.
Schon in seiner Masterarbeit analysierte Fabian Rey unzählige Proben, in seiner Doktorarbeit trieb er es sozusagen auf die Spitze: Er untersuchte Sedimentproben aus dem Burgäschisee und dem Moossee, beide im bernischen Mittelland gelegen. «Im Unterschied zu Bohrkernen beispielsweise aus Moorlandschaften ist der Seegrund ungestört», erklärt Rey. «Es gab dort keine weidenden Tiere oder Zerstörung durch Torfabbau.» Mit jedem Meter Material gehen die Forscher weiter in die Geschichte zurück, ein Meter Seeablagerungen entsprechen dabei rund 500-1500 Jahre. Pflanzenreste geben Hinweise darauf, wie sich die Vegetation zu einer bestimmten Zeit zusammengesetzt und verändert hat, ob eher trockenes oder feuchtes Klima herrschte, es eher kühl oder warm war.
Diese Art Forschung wird schon lange betrieben. Was Reys Arbeit auszeichnet, ist die Präzision und die zeitliche Auflösung: Während durchschnittliche Analysen Datierungsspannen in der Grössenordnung von Jahrhunderten aufweisen, liegt die Genauigkeit bei Fabian Rey in einem Bereich von 10 bis 15 Jahren. Möglich macht dies die Riesenmenge an Proben, die er analysiert hat: Rund tausend Stück mit jeweils rund 500 Pollen. «Eine mega Büez», wie Rey konstatiert. Die Präzision der Chronologie ist für die Siedlungsgeschichte von grosser Bedeutung. Archäologische Ausgrabungen belegen, dass beispielsweise Pfahlbausiedlungen oft nur während 10 bis 20 Jahren Bestand haben. «Da nützt eine Zeitangabe, die um 100 oder 200 Jahre schwankt, gar nichts», so Rey. Aus seinen Seesedimentproben konnte er mit radiokohlenstoff-datierten Methoden auch Siedlungsbewegungen rekonstruieren und beispielsweise zeigen, dass der Mensch nicht erst in jüngster Zeit die Umwelt verschmutzt. «Die Menschen haben schon vor Tausenden Jahren Fäkalien und Siedlungsabfälle einfach in den Seen entsorgt. Also ich hätte dort nicht mehr baden wollen.»
Der Einsatz hat sich gelohnt: Fabian Rey hat für seine Arbeit die Höchstnote erhalten und wird jetzt von der Akademie der Naturwissenschaften auch mit dem Prix Schläfli in Geowissenschaften ausgezeichnet. «Das ist nicht nur für mich, sondern für das ganze Forschungsgebiet eine Wertschätzung», sagt er. «Darüber liest man ja nicht gerade jeden Tag was in der Zeitung.»
Seit zwei Jahren ist Fabian Rey Laborleiter der Forschungsgruppe Geoökologie an der Universität Basel. «Ich bin sehr froh, dass ich diese Forschung machen kann. Das macht mir Spass.» Besonders freut er sich, dass er an einem Projekt beteiligt ist, das an seine Dissertation anknüpft: Gemeinsam mit dem Amt für Archäologie des Kantons Thurgau sollen bei dortigen Seen Sedimentanalysen Aufschluss über die Siedlungsgeschichte in der Ostschweiz geben. Eigentlich ist Fabian Rey also vor allem ein Geschichtenerzähler: Er erzählt die Geschichte der Menschheit mit Hilfe von kleinsten, kaum wahrnehmbaren Zeitzeugen – «oral history» eines Paläoökologen.
Astrid Tomczak-Plewka